Sonthofen im Oberallgäu


 

Eine baukulturelle Betrachtung

Warum sieht Sonthofen so aus wie es aussieht!?

Für uns von der BAUSTELLE SONTHOFEN ist die intensive Beschäftigung mit Sonthofen selbst die Grundlage für unsere Vereinsarbeit und unsere Ziele. Viele unserer Ambitionen und Ideen lassen sich direkt oder indirekt aus der (städtebaulichen) Geschichte der Stadt ableiten und verdeutlichen unsere Haltung zur Baukultur in Sonthofen.

Betrachten wir Sonthofen heute, so sehen wir eine Stadt, mit vielen gestalterischen und strukturellen Problemen.

Alt-Bürgermeister Buhl sprach oft vom „zusammengewürfelten Konglomerat“ und alle Sonthofer wissen genau, was er damit meinte: Die vielen unterschiedlichen Bauformen, -stile und -materialien, die zahlreichen Maßstabssprünge und die oft geringe Gestaltqualität im Detail erwecken einen wenig harmonischen Gesamteindruck und vermitteln das Gegenteil einer „gewachsenen“ Ortschaft.

Wie aber ist es dazu gekommen? Dazu im Folgenden einige „Meilensteine“ der städtebaulichen Geschichte Sonthofens, die den heutigen Ort verständlicher machen.

 

1818

Sonthofen ist zu dieser Zeit noch immer der kleine Marktflecken, der es schon seit Jahrhunderten ist und der sich nur minimal vergrößert. Landwirtschaftliche und Handwerkergebäude prägen den Ort. Aufälligere Bauwerke sind die Pfarrkirche, das Schloss (Sitz des Landgerichtes, später Bezirksamt), die Spitalkirche und die Hirschbrauerei. Außerhalb des Ortes, am Ufer der noch frei fließenden, nördlich gelegenen Ostrach, sind einige der ehemaligen Mühlen zu kleinen und mittelgroßen Betrieben (Textilherstellung, Eisenverhüttung) angewachsen.

 

Karte Sonthofen 1818

 

1929

In den vergangenen mehr als 100 Jahren (!) hat sich Sonthofen um seinen Kern herum kaum nennenswert vergrößert. Kleinere Siedlungsbestandteile im Süden und im Nordwesten sowie der Sackbahnhof sind die einzigen auffälligen Veränderungen im Ort selbst. Die Urstruktur – der „fünfstrahlige Stern“ mit den fünf Ausfallstraßen in die Nachbarorte Rieden, Burgberg, Berghofen/Hindelang, Alststädten und Sigishofen  – ist noch deutlich zu erkennen.

Schwerwiegender dagegen, die räumlichen Veränderungen in der näheren Umgebung von Sonthofen: Die Ostrach ist begradigt und besonders die beiden im Norden der Stadt liegenden Fabriken haben sich stark ausgeweitet. Durch die Entstehung kleiner Arbeitersiedlungen in unmittelbarer Werksnähe entstehen städtebaulichen „Satelliten“, die zwar mit Sonthofen im sozialen und wirtschaftlichen Austausch stehen, räumlich aber noch deutlich davon getrennt sind. Die enormen wirtschaftlichen Veränderungen seit 1818 (Wegbruch der Erwerbszweige Eisenverhüttung und Flachsanbau, stattdessen Einführung der Milchwirtschaft, der Käseproduktion und erste touristische Einrichtungen) machen sich städtebaulich insgesamt nur wenig bemerkbar.

 

Karte Sonthofen 1929

 

1946

Nur 17 Jahre später ist Sonthofen schließlich nicht mehr wiederzuerkennen: in den 1930er Jahren entstanden die Bundesstraßen B 19 (westlich) und B 308 (nördlich). Auch der neue Bahnhof – westlich, außerhalb des Ortes gelegen – ist jetzt zu sehen. Die bedeutendste Neuerung aber ist die Ansiedlung von gleich drei Kasernen (Sonthofen ist seit 1914 Garnisonsstandort und die Nationalsozialisten beschließen seine radikale Ausweitung): oberhalb der Ostrach, im Nordosten des Ortskerns und im Südosten auf einem Hügel über Sonthofen sind ihre Strukturen auf dem Schwarzplan gut zu erkennen. Die Kasernen sprengen jedes bisher gekannte Maß an gebauten Strukturen im Oberallgäu um ein Vielfaches – selbst im Vergleich zu den umliegenden Fabrikgeländen.

Gleichzeitig beginnt die Einwohnerzahl von Sonthofen innerhalb kürzester Zeit zu explodieren – die Nachfrage nach neuem Wohnraum ist enorm und steigt bis in die 1970er Jahre weiter an.

Die räumliche Situation Sonthofens nach dem 2. Weltkrieg lässt sich so zusammenfassen: Zum einen gab es den noch weitestgehend erhaltenen alten Stadtkern sowie die räumlich davon getrennten Fabrikgelände und einige kleinere Bauerndörfer (verbunden mit Sonthofen über die strahlenförmigen Ausfallstraßen). Zum anderen ist eine Vielzahl von großräumlichen neuen Strukturen um den Ort herum angelegt worden: große überregionale Verkehrsschneisen und die Kasernenanlagen – auch diese ohne städtebauliche Verbindung mit „Alt-Sonthofen“.

Dies war die in vielerlei Hinsicht entscheidendste Phase der Stadtentwicklung – auch für das heutige Sonthofen: das bisher langsam gewachsene Dorf wird in nur wenigen Jahren mit städtebaulichen und verkehrlichen Großstrukturen umringt. Seit dieser Zeit kann nicht mehr von „gewachsenen Strukturen“ – womit eine gewisse Ausgewogenheit und eine Maßstäblichkeit bei der Ortsentwicklung gemeint ist – gesprochen werden. Was rein wirtschaftlich betrachtet sicher als Beginn einer lange anhaltenden Blütezeit Sonthofens zu sehen ist, war, bezogen auf Städtebau und Architektur, so etwas wie der Anfang einer „räumlichen Überforderung“ für den Ort.

An dieser Stelle darf nicht unerwähnt bleiben, dass Sonthofen einer der wenigen Orte im Oberallgäu war, die im 2. Weltkrieg angegriffen worden waren. Es ist in gewisser Weise eine Ironie der Geschichte, dass die Ansiedlung der Truppen in Sonthofen nicht nur dessen positive wirtschaftliche Entwicklung ganz entscheidend vorangetrieben hat, sondern auch für seine Bombardierung in den letzten Kriegstagen verantwortlich war (die Kasernenanlagen selbst wurden verschont, da die Alliierten sie für ihre Zwecke vorgesehen hatten).

In Sonthofen wurden dabei insgesamt 20 Gebäude stark oder total zerstört, wobei der Verlust einiger, allein schon durch ihr Volumen ortsprägender Bauwerke (Pfarrkirche, Spital mit Kirche und Rathaus, im Zuge eines Unfalls während der Besatzung später auch noch das so genannte „Schloss“), besonders schwerwiegend war. Es darf jedoch nicht vergessen werden, dass der Ort in mindestens gleichem Maße von niedrigen landwirtschaftlichen Gebäuden und einfachen Handwerkerhäusern sowie von einigen Bürgerhäusern aus der Gründerzeit geprägt war, die zusammen den Großteil des Ortszentrums einnahmen und die auch nach dem Krieg noch größtenteils vollständig erhalten waren (dies lässt sich durch historische Fotografien aus der Nachkriegszeit und die Übersicht über die Totalzerstörungen von 1946 klar belegen).

Diese Darstellung widerspricht einem immer wiederkehrenden Mythos über die Kriegsschäden in Sonthofen, der z.B. auch durch die offizielle Stadtchronik weiter aufrecht gehalten wird, wo es beispielsweise heißt, „die damals durch die feindlichen Luftangriffe angerichteten Zerstörungen bewirkten eine so starke Veränderung des gesamten Ortsbildes, daß man nach dem erst viel später erfolgten Wiederaufbau mit gutem Recht von einem zweiten, neuen Sonthofen sprechen kann“. Diese Aussage ist aus heutiger architektonisch-städtebaulicher Sicht nicht nachzuvollziehbar, legt sie doch die Vermutung nahe, durch die Bombardierung sei mehr oder weniger der gesamte Ort in Schutt und Asche gelegt worden, was vollkommen übertrieben ist! Tatsächlich wurde der überaus größte Teil der historischen Baumasse Sonthofens aus verschiedenen Gründen erst nach dem 2. Weltkrieg von den Bewohnern selbst abgerissen, sogar bis hinein in die jüngere Vergangenheit (auch noch nach dem Jahr 2000!).

 

Sonthofen 1946

 

Totalzerstörungen Sonthofen

Übersicht über die Totalschäden nach Ende des 2. Weltkrieges

 

1960

Etwa 1950 waren 20 bis 25% der Bevölkerung Sonthofens Flüchtlinge aus Osteuropa (v.a. Sudetenland), was die Bevölkerungsexplosion, vor allem ausgelöst durch den Bau der Kasernen, noch einmal unterstützte. Im Verlaufe der 1950er Jahre siedelten sich weitere Betriebe in Sonthofen an, wobei der Bau der ERGEE-Werke (Textilien) und damit verbundene Siedlungs-Neugründungen besonders ins Gewicht fielen. Durch diese Entwicklungen verdreifacht sich die Bevölkerung zwischen 1930 und 1960 auf etwa 14.000 Einwohner. Dadurch wachsen die, wie „Satelliten“ um Sonthofen wirkenden Sieldungs- und Erschließungsbestandteile langsam zu einem Ganzen zusammen: Die Jägerkaserne ist bereits deutlich Bestandteil von Sonthofen. Auch die Bundesstraßen liegen nicht mehr vor den Toren der Stadt (Stadterhebung aber erst 1963!), sondern sind vom Ort umschlossen. Einige der Dörfer um Sonthofen (Rieden im Nordwesten, Berghofen im Nordosten und Binswangen im Osten) werden von den Stadträndern berührt, teilweise besteht bereits ein räumlicher Zusammenschluss.

Es findet also nicht mehr das über Jahrhunderte in den Städten typische Wachstum „in Ringen um den Kern“ statt, sondern die lose in der Landschaft verteilten „Großschollen“ – Kasernen, Werksgelände mit Arbeitersiedlungen und Bauerndörfer – sowie die großen Verkehrsachsen wachsen in relativ kurzer Zeit zu einem Stadtkörper zusammen.

Diese Form von Wachstum fördert einen stark auf technokratische und funktionalistische Aspekte reduzierten Städtebau, wie er zu jener Zeit in Deutschland durchaus üblich war. Allein die Größenordnung der Veränderungen in Bezug auf den ursprünglichen Ortskern (Zeit vor dem 2. Weltkrieg), macht die besondere Schwierigkeit für Sonthofen deutllich: Auf einer Fläche die etwa viermal größer ist als der ursprüngliche Ort prallen Strassen, Siedlungen, Einzelgebäude, Werksgelände, ganze Stadtfelder usw. innerhalb nur weniger Jahre relativ unvermittelt aufeinander. Es gibt weder einen übergeordneten Plan für die Raumentwicklung, noch eine Vorstellung über die funktionalen und gestalterischen Auswirkungen eines solchen Stadtwachstums. Einem „organischen“ Stadtwachstum widerspricht auch der, durch die aufkeimende Massenmobilität ausgelöste, Trend, Orte sehr stark aus der Auto-Perspektive zu planen. Es bleibt fraglich, inwiefern ein sorgfältigerer Städtebau diese Situation hätte auffangen können – Veränderungen in dieser Größenordnung wären für jeden Städteplaner eine große Herausforderung gewesen. Jedenfalls hat sich Sonthofen ohne derlei Bemühungen – sicherlich auch ausgelöst durch schicksalhafte Entwicklungen von Außen (z.B. Ansiedlung der Kasernen durch die Nationalsozialisten) – zu einem räumlichen „Flickenteppich“ entwickelt, dessen fehlende Kompaktheit und Vernetzheit zwischen den einzelnen Stadtfeldern, sowohl auf struktureller wie auch auf gestalterischer Ebene, noch die heutige Stadt prägt.

 

Sonthofen 1960

 

Sonthofen 1946

 

Sonthofen 1960

 

Sonthofen 2010

 

2010

Das heutige Sonthofen: Die ehemals eigenständigen Dörfer Rieden, Berghofen und Binswangen sind mit der Stadt verwachsen und sind auch offiziell eingemeindet worden (insgesamt hat Sonthofen heute 17 Ortsteile, darunter auch einige räumlich noch eigenständige Dörfer). Die ehemaligen Zwischenräume zwischen den „Satelliten“ sind größtenteils mit Wohnsiedlungen und Gewerbegebieten aufgefüllt worden. Bundesstraßen und Kasernen wirken auf dem Plan wie echte Stadtbestandteile – ihre starke Barrierewirkung innerhalb der Stadt bleibt hier unsichtbar. Die Stadt hatte Mitte der 1990er Jahre etwa 21.500 Einwohner, inzwischen sind es etwas weniger. In den kommenden Jahren wird sich vor allem die Zusammenlegung der drei Kasernen zu nur noch einem Standort (die General- Oberst-Beck-Kaserne auf dem Kalvarienberg im Südosten der Stadt) sehr stark auf die Stadtentwicklung auswirken. Die Truppenstärke wird reduziert und auf den beiden freiwerdenden Kasernenarealen wird ein Konversionsprozess stattfinden, der das Gesicht der Stadt nachhaltig verändern wird (einmal mehr ausgelöst durch politische Entscheidungen von Außen).

Der heutige Stadtraum von Sonthofen ist städtebaulich hauptsächlich durch die Entwicklungen ab dem Bau der Kasernen und der Bundesstraßen in den 1930er Jahren zu begreifen. Damals haben sich einige – aus heutiger Sicht – problematische städtebauliche Tendenzen ausgeprägt, die in den Folgejahrzehnten fortgesetzt wurden. Man könnte von einem „additiven Städtebau“ sprechen, der geprägt ist vom Aneinanderreihen großer Stadtfelder (hauptsächlich Wohnsiedlungen, Gewerbegebiete), ohne übergeordnetem städtebaulichem Konzept. Damit eng verbunden ist die mangelhafte Vernetzung dieser städtebaulichen „Großschollen“ untereinander. Strukturell betrach- tet wird dies noch verstärkt, durch die Barrierewirkung der früher vor dem Ort gelagerten Verkehrs- schneisen Bahn/B19 in Nordsüd-Richtung und B308 von Nordwest nach Südost. Ebenfalls Barrierewirkung haben die Kasernen, besonders die Jägerkaserne mitten im Stadtgebiet (wobei sich die Stadt hier einiges von der bevorstehenden Konversion versprechen darf) und die Flüsse (besonders die Ostrach). Dadurch ergeben sich vor allem auch große „gefühlte Entfernungen“ im Stadtgebiet, die die Bewegung im Raum und das Erleben der Stadt prägen.

 

Sonthofen 2010

 

Folgen aus dieser städtebaulichen Geschichte, die SF und die Diskussion um seine Weiterentwicklung bis heute prägen und was die BAUSTELLE SONTHOFEN darüber denkt:

  • SF hat keine Altstadt mehr und viel gestalterische „Durchschnittsware“ aus den Nachkriegsjahrzehnten angesammelt – ein „roter Faden“ im Stadtbild ist nicht mehr zu erkennen; die Identifikation mit dem Ortsbild ist nur schwer möglich, die Sehnsucht der SonthoferInnen danach ist aber groß;

Die BAUSTELLE SONTHOFEN meint dazu: Die wenigen Reste der historischen Altstadt unbedingt bewahren und ggf. fachlich korrekt sanieren; ansonsten vor allem für qualitativ hochwertige NEUE Architektur sorgen!

  • SF ist zu schnell und ungeordnet gewachsen und hat dadurch viele strukturelle Mängel; Folgen sind u.a. Mängel bei der Vernetzung der einzelnen Stadtfelder, bei der Fuß- und Radwegeerschließung, beim Stadtgrün und generell bei der Qualität des öffentlichen Raumes;

Die BAUSTELLE SONTHOFEN meint dazu: Die Ideen aus dem ISEK  zur Verknüpfung und Erweiterung der Grünstrukturen, zur Verbesserung der Fuß- und Radwegestruktur und zur Aufwertung des öffentlichen Raumes (Verlinkung öffentlicher Raum) weiterverfolgen und Schritt für Schritt umsetzen – diese so genannten „weichen Faktoren“ werden in Zukunft zu wichtigen Standortfaktoren in Sonthofen werden.

  • Der Übergang vom Dorf zur Stadt geschah sprunghaft, ohne dass sich die Bürger an eine neue „Stadt-Identität“ gewöhnen konnten; auch heute noch fehlt oft das klare Bekenntnis zur Stadt und ein entsprechendes Selbstbewußtsein bei der Ortsentwicklung;

Die BAUSTELLE SONTHOFEN meint dazu: Sonthofen soll sich eindeutig als Stadt unter den Dörfern im oberen Oberallgäu weiterentwickeln; das urbane Potential der Kernstadt Sonthofens soll ausgelotet und weiterentwickelt werden, im reizvollen Kontrast zu den Dorffilialen außen herum, die ihrerseits ihren eigenen Charakter bewahren sollen;